Sonntag, 5. August 2012

Seit einigen Tagen sind die VTG-Schrecken zum Leben erwacht, die jedes begrünte Areal mit dem fauchenden Gesang gleichnamiger Turbolader schmücken. Ich gehe dann immer etwas schneller.
Brüskierte Zoologen seien mit der Zusatzinformation befriedet, dass die 5-6 cm großen Tierchen auch "Semi" genannt werden und das drehmomentschwangere Geräusch zu Balzzwecken mit ihren Hinterbeinen erzeugen. Auch wenn es mich anspricht werde ich das nicht überprüfen. In den Bergen Naganos lebt eine anders balzende Gattung (Higurashi), die sich auf sehr hohe stakkatohafte Sexualgespräche spezialisiert hat. Das klingt dann schon eher kaputt, aber ökologischer.


Nach der Fauna soll auch die Flora heute nicht zu kurz kommen. In früheren posts hatte ich den Ueno-Park erwähnt und gezeigt, den ich jetzt häufiger passiere um mich schnellstmöglich in gleichnamigem Stadtteil verlustieren zu können (Yodobashi camera, KFC, McD, Döner, und natürlich mein freundlicher Süßigkeitenhändler). Auf dem Foto waren größere Flächen mit undefinierter Botanik zu sehen, die ich mit dieser Beschreibung maßlos unterbewertet habe.

Von Architekt zu Biologe hat Ariel mir erklärt, dass es sich um Lotus Blumen handelt! Buddha sitzt auf einer Lotusblüte und die Japaner essen den Salat da drunter... Trotz dieser existentiellen Bedeutung lässt mich das als generell salatfeindlich eingestellten Katholiken natürlich kalt. Aber ich weiß nun um die kulturelle Bedeutung und spreche nicht mehr von undefinierter Botanik, Laub oder Grünzeug. Ein Lotus Gedenkbild an dieser Stelle möge meine Achtung zum Ausdruck bringen:



Nach dem selbstverständlich Lotus- und salatfreien Mittagessen am vergangenen Freitag hatten wir uns gerade höflich mit einem "Gochisou sama deshita" für die leckere Mahlzeit bedankt und zum Aufbruch komplementiert (das macht man hier so) als mir rücklings eine Zeitung über den Kopf gezogen wurde, das es nur so schepperte! Vom habituellen Kontrast heftig irritiert drehte ich mich um erblickte das strahlende Gesicht Travours.
Travour ist ein lustiger Junge amerikanischer Herkunft, mit dem Selbstverständnis und -bewusstsein eines doppelten Nobelpreisträgers der gerade Wimbledon gewonnen hat. Kombiniert mit seiner ordinär direkten Art ist er in der japanischen Wahrnehmung also die personifizierte Unverschämtheit. Verschreckten Zeugen seines Auftretens steht ein herausplatzendes "WER WAR DAS DENN?" ins Gesicht geschrieben und Gesten der Hilflosigkeit sind der einzige Weg, sich selber in dieser Gesellschaft zu erklären.
Ich mag ihn trotzdem, seine Karikatur amerikanisch-japanischer Inkompatibilität stellt selbst die bemühtesten Komiker in den Schatten.

Samstagabend war ich wieder mit Dennis und Doro unterwegs. Auch wenn solche Wiederholungen literarisch verpönt sind: Wirklich nette Leute kennst du hier Maik! Ein Freund von den beiden hat ein Konzert gegeben, das mir Gelegenheit bot meinen populärmusikalischen Horizont nochmals zu erweitern. Tokyo-based indie solo rock nennt sich das Genre und bedarf wie der Name schon sagt nur eines Musikers, der alle Stimmen übernimmt. Deren zeitgleiche Umsetzung würde unweigerlich in Hektik ausarten, daher dient ein iPod zum separaten Aufnehmen und späteren gemeinsamen Abspielen aller Tracks. In dem Fall macht das "i" vor dem "pod" also Sinn... Gesang und lead Gitarre kamen live dazu und ergaben so eine tolle Performance, die musikalisch gut und zusätzlich sehr partytauglich war.

Auf dem Heimweg war ich dann recht spät dran, und habe die Ueno-station passiert, als die letzten Bahnen schon abgefahren waren. Dann ergibt sich ein geisterhaftes Bild menschenleerer Bahnhofshallen:



Ein weiteres Feuerwerk hat mich mit den japanischen Spreng- und Polizeimeistern wieder versöhnt und war darüber hinaus eine schöne Aktion mit meinem team. Ich zitiere an dieser Stelle das Urteil eines Aachener Obdachlosen zur Bildzeitung: "Viel zu viel Text, viel zu wenig Bilder, wenn interessiert der ganze Quatsch denn?" Fotos:



Zum Ausklang des Wochenendes habe ich endlich Akihabara besucht. Unter Touristen gilt diese Ecke Tokyos wegen einer gewissen Akkumulation von Elektronik- und Ramschläden als "must see" wie man ja neudeutsch zu sagen pflegt. Zu Unrecht wie ich finde, aber ich kann es mir als Langzeitbesucher ja leisten. Schon im Bahnhof geben eindeutige Schilder wertvolle Hinweise: Sprachbegabte und Tokyo-insider wissen sofort, dass hier nicht der elektronische Ausgang zu Stadt sondern der Ausgang zur elektronischen Stadt ausgewiesen wird:



Unzählige Geschäfte, Spielhöllen und Werbetreibende funkeln, schreien und bezirzen natürlich um die Wette und in den Manga- und Comicshops schleicht diese ganz spezielle Gattung männlicher homo (sapiens (sapiensis)) herum, wie man sie auch aus deutschen Gamestops und Automatencasinos kennt.
Für Dich Stephan habe ich mich überwunden und bin trotzdem eingetreten, du bekommst eine Fotoauswahl verschiedener Godzillas und darfst einen aussuchen. Ich muss Dich allerdings enttäuschen, Godzilla ist hier nicht mehr angesagt! Er wurde von einer Familie kleiner Plastiktintenfische verdrängt, die in unterschiedlichsten Lebenslagen modelliert, omnipräsent angeboten wird. Das muss bitter Sein für so eine potente Echse. Auch sehr beliebt scheint die Darstellung einer brutalen Koexistenz von reizenden Schulmädchen und monströsen Drachen zu sein. Erstere erschrecken sich in wechselnden Alltagsszenarien ganz entsetzlich, wenn Letztere artgerechtes Verhalten zeigen. Mit diesen Bildern im Kopf sage ich gute Nacht!

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