Sonntag, 22. Juli 2012

Heute singe ich ein Loblied auf die Tokyoter U-Bahn:
1 und 2 und 3 und "jede Fahrt beginnt mit der Passage einer elektronischen Schranke, die für die Fahrpreisberechnung den Startpunkt festhält. Ein Schaffner oder gar reiner Kontrolleur, der mit seiner Existenz jeden Fahrgast unter generellen Betrugsverdacht stellt, entfällt damit und man fühlt sich tatsächlich als Fahr-gast und nicht -parasit.
Jeder normale Mensch ist hier mit einer Suica oder Pasmo card ausgestattet, die im Vorbeigehen über den Scanner gezogen wird. Wenn das 7 sprintende Fahrgäste in 3 Sekunden machen ist das für die Elektronik kein Problem, wir sind hier schließlich in Japan!



Die Hallen, in denen man sodann verkehrt sind sauberer als handelsübliche Sterilbänke, die Beschilderung ist auch für orientierungsschwache Personen nachvollziehbar und jeder einzelne Gang im gesamten U-Bahnnetz ist blindengerecht mit gelben Pfaden versehen. Blindengerecht ist natürlich nicht die Farbe, sondern deren Oberflächenstruktur, über die alle nötige Information haptisch vermittelt wird.


Die Rolltreppen sind schonmal etwas länger, im folgenden Bild ist eine von 4 Rolltreppen zu sehen, denen man zum Erreichen des "Oedo Line" Levels folgen muss. Diese Linie ist die Jüngste und daher zwangsläufig auch Tiefgelegenste in Tokyo und verkehrt bis zu 50m unter der Erdoberfläche.


Im Falle der deutschen Bahn wird das pünktliche Eintreffen eines Zuges ja zu Recht mit Erstaunen wahrgenommen. Hier kann man sicher sein, dass eine um 22:10 verkehrende Bahn, um 22:09:45 einfährt und man um 22:09:59 durch die Tür schreitet. Sollte man sich auf 22:11 verspätet haben macht das auch nichts, um 22:13 kommt ja der nächste Zug...
So macht öffentlicher Nahverkehr Spaß und wird zur überlegenen Alternative zum Auto! Das bräuchten wir auch in deutschen Städten, von mir aus auch mit extra breiten Parkplätzen für die Tuaregs der ökologischen Besserverdiener."

Das Lied ist hier zu Ende!

Am Donnerstag war ich im Labor etwas früher fertig und habe beschlossen nach Shibuya zu fahren. Unterwegs stand ich unschlüssig in der Tür eines Expresszuges und war besorgt extrem flott an Shibuya vorbei zu sausen. Ein netter Fahrgast beendete meine Sorge und die Blockade des Zuges und bot kurzerhand an, mir den Weg nicht zu erklären sondern zu zeigen und bei der Gelegenheit durch den Stadtteil zu führen.
Fast 2 Stunden hat er das sehr interessant und sympathisch gemacht - ich war beeindruckt! Man hat ja gelernt nicht naiv zu sein, also war ich jederzeit auf eine Einladung in horizontale Etablissements oder irgendwelche unappetitlichen Empfehlungen vorbereitet. Jetzt weiß ich, dass man in Japan naiv sein darf! Als wir wieder in Bahnhofsnähe waren entschuldigte er sich mit dem Kommentar, jetzt mal nach Hause zu müssen, und wünschte mir alles Gute und viel Spaß in Japan.
Ein Foto haben wir noch gemacht, dann ist er los - die Japaner sind irre nett!


In Shibuya liegt auch die berühmte Kreuzung aus "Lost in translation". Ich hatte selbige schonmal in Asakusa fotografiert ohne zu ahnen dass sie es garnicht ist - entschuldigung! Jetzt also die richtige Kreuzung:


Sie schließt das Stadtzentrum an den Bahnhof an, der jeden Tag von 3 Millionen Pendlern zum Ein-, Um-, und Aussteigen genutzt wird. Daher ist es dort häufig etwas voller, mein Besuch zwischen den Hauptverkehrszeiten zeigt also ein untypisch ruhiges Bild. Der ganze Stadtteil wirkt aber recht verstopft - mich hat‘s erheitert, die Pendler dürften es hassen.


Erstmalig habe ich LKWs gesehen, die sich auch nachts eine zweite Daseinsberechtigung als Werbeträger schaffen. Der komplette trailer ist mit Leuchtreklame überzogen und aus dem Unterboden tönen wummernde beats und Kaufbefehle formulierende Frauenstimmen. In schlichterer Umgebung könnte das zu Zwangshandlungen führen, mitten in der Stadt bezweifel ich den Erfolg beim Konsumenten aber, Stichwort Reizüberflutung! Ich hätte mich an meinem Mc Pork fast verschluckt.


Gestern Abend war ich mit Ariel in Ginza unterwegs und habe mir mal wieder interessante Häuser erklären lassen. Ich werde zukünftig keine Stadt mehr ohne einen Architekten besuchen, diese Form der Stadtführung begeistert mich und ist für mein schlichtes Gemüt beeindruckender als das gewöhnliche "hier starb Brecht" oder "Karl der Große hätte angeblich mal dort gestanden haben sollen".


Etwas japanischer Niederschlag (zu Deutsch "Starkregen") weckte dann die Lust auf Bier mit Dach. In den ersten 3 Bars stolperten wir beim Eintreten jeweils über eine rechtwinklig verbeugte Bedienung - deren Daseinsform wir mittlerweile richtig interpretieren können:"Hochverehrter Gast, ich kriege gerade die Vollkrise weil wir in 12,453 Minuten schließen und die Hochleistungsstoppuhren schon auf 23:00:00:00:00:00 gestellt sind!"

Ehrlichgesagt nervt das ein bischen, neben dem Gebrauch von Messer und Gabel ist das eine weitere Sache, in der sich westliche Gesellschaften sinnvoller verhalten. Immerhin hatte der "Cowboys night club" noch geöffnet, aber wir waren unsicher was mit Cowboys genau gemeint ist. Bei Hooters waren wir da sicherer, haben aber den Eingang nicht gefunden. Eine Bar unter der Shinkansentrasse imponierte dann aber mit einem erstaunlich entspannten Verhältnis zur Uhrzeit und hat uns Bier, Dach und Pommes geboten. Die Pommes kamen übrigens mit Butter, wenn schon Reisersatz dann richtig...


Roppongi liegt direkt neben Shibuya und wurde heute Mittag von mir besucht. Bulgari, Dolce & Gabana, gina george und deine Muddda haben versucht zu beindrucken, taten das aber kaum. Der tolle Tempel ehrlichgesagt auch nicht.
Die automobilen Fabrikate deutscher Herkunft schon eher. In dieser Hinsicht sind sich Japaner, Europäer und Amerikaner offenbar sehr ähnlich. Wer empfundene Potenz ausdrücken oder vermisste Potenz ausgleichen möchte, fährt überall auf der Welt mit Porsche, Mercedes oder BMW um Dolce und Gabana shops herum. Ich finde das gut! Zumal sich Viele den kleinen Kommentar AMG oder Alpina nicht verkneifen und zu guter Letzt noch ein paar Liter Super plus über den Jordan schicken wenn man unverblümt hinguckt. Mir gefiel der Klang vom Gemballa V10 Biturbo am besten!

Aber ich schweife ab, neben den Autos war der Eingang zum Tokyu Plaza sehenswert bis kreislaufschädigend. Drinnen gab‘s aber nur zu kleine Klamotten, also bin ich direkt wieder raus.


Nächste Woche geht‘s nach Nagano an die Shinshu university. Dort besuche ich das team von Masato Ikeda, den ich bisher nur zitieren durfte und freue mich da sehr drauf. Neues also von dort, liebe Grüße an Euch alle!

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